Über alte Männer und Geheimnisse

Martha Bissmann im MADONNA-Interview

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Sie rückte für Peter Pilz in der Parlaments-Liste nach, jetzt wurde die 38-Jährige aus dem Klub der Liste Pilz ausgeschlossen. Martha Bißmann im Talk über Haussegen, alte Männer und Geheimnisse.

Ein Wort, das im alltäglichen Sprachgebrauch heutzutage selten Platz findet, ist „Wust“. Es bezeichnet ein Durcheinander, eine ungeordnete Menge, die durch ihre Verwirrungen aber doch irgendwie zusammenhängt. Der Duden nennt die Beispiele: „Ich ersticke fast in dem Wust von Papieren“, und im übertragenen Sinn: „Ein Wust von Vorurteilen“. Dessen Bedeutung sowie die Synonyme Chaos, Intransparenz und Querelen sind Begriffe, die im österreichischen Parlament aktuell mit der Liste Peter Pilz assoziiert werden. Die explizit ohne Klubzwang geführte Liste schrieb sich seit ihrer Gründung 2017 die „Personen als Programm“ auf ihre Fahnen. Listengründer ist der – seit Jahrzehnten als Aufklärer bekannte – Ex-Grüne Peter Pilz (64). Nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung gab er seinen Platz im Hohen Haus auf. Es folgte eine Umschlichtung im Listenvorsitz (Peter Kolba wurde Klubobmann) und über die steirische Liste rückte die Grazerin Martha Bißmann (38) auf Pilz’  Platz im Nationalrat nach. Was in den letzten Wochen und Monaten daraufhin folgte, ist schlichtweg ein „Wust“.   
 
Umbrüche einer jungen Liste

Gute zwei Monate nachdem Peter Pilz sein Mandat wegen der Vorwürfe nicht angenommen hatte, gab er bekannt, in den Nationalrat zurückzukehren. Die Frage war: Wer aus dem Klub verzichtet auf sein Mandat für den Listengründer? Aus dem Rätselraten wurde eine mediale Schlammschlacht. Der bis dahin als Klubobmann fungierende Peter Kolba (59) legte am 1. Juni sein Mandat zurück und verlautbarte, dass er „mit dieser Liste nichts mehr zu tun“ haben wolle. Die daraufhin eigentlich nachrückende Listen-Zweite Maria Stern (45) verzichtete auf ihr Mandat und ermöglichte Gründer Peter Pilz so den Wiedereinzug ins Parlament. Sebastian Bohrn Mena, der für Tierschutz- und Kinderrechte Zuständige der Liste, bezeichnete in einem Presse-Interview Listengründer Pilz als „schlechten Parteichef“ und seinen Führungsstil als „autoritär“ und „antidemokratisch“. Im Juli wurde dieser daraufhin fristlos aus der Partei entlassen. 
 
Unverständnis aller Fronten

Ein Dauerpunkt auf der Tagesordnung der Liste Pilz war seit ihrer Weigerung, auf ihr Mandat zugunsten der Rückkehr von Peter Pilz zu verzichten, auch der Ausschluss von Martha Bißmann aus der Liste. Die Rede war von „Vertrauensbruch“, „Größenwahn“. Die Folge waren „Widrigkeiten und Repressalien“ sowie „Intrigen und Machtspiele“. Von den tobenden Worten von Peter Pilz begleitet, wurde die Grazerin schließlich am 19. Juli aus der Liste Pilz ­hinauskatapultiert. Damit wurde Bißmann unfreiwillig zur ersten wilden Abgeordneten in der Legislaturperiode der aktuellen Regierung. Ein Rundumschlag. 
 
Sie haben einen großartigen Job aufgegeben, sich für die Politik entschieden und jetzt das: Fühlt man sich da hintergangen? 
Martha Bißmann: Es war mir bewusst, auf was ich mich einlasse. In der Politik lauern viele Fallen und Stolpersteine. Ich lass mich aber nicht unterkriegen. Wenn man für was brennt, kann man Krisen gut überstehen. 
 
Bereuen Sie gewisse Entscheidungen in der Vergangenheit?
Bißmann: Nein. Ich schaue immer nach vorne, nie zurück. Die Zukunft ist, was zählt. Ich habe viel gelernt in den letzten Monaten, auch aus Fehlern, doch ich bereue nichts. Geht eine Tür zu, öffnet sich ein Tor.
 
Ihr Rausschmiss schien ja sehr präsent auf den Tagesordnungspunkten der Liste gewesen zu sein. Wie präsent war denn die Klärung der Vorwürfe gegen Peter Pilz?
Bißmann: Die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Peter Pilz waren auf keiner einzigen Tagesordnung von Klubsitzungen. Thema war das schon mal: bei der Klausur im Jänner, wo wir uns im Klub darauf verständigt haben, dass die Sache mit der Staatsanwaltschaft vor Pilz’ Rückkehr ins Parlament abgeschlossen sein muss.  
 
Ist das nicht eine falsche Prioritätensetzung seitens der gesamten Liste?
Bißmann: Es wäre auf jeden Fall besser gewesen, die Prioritäten auf den Aufbau der Strukturen vor allem in Partei und Akademie und in die Entwicklung einer politischen Vision und eines Programms zu setzen, und zwar unter Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern. Kurz gesagt: sich der Probleme und Anliegen der Menschen anzunehmen, anstatt sich intern zu zerfleischen.
 
Haben Sie überlegt, aufgrund der Geschehnisse der Politik den Rücken zu kehren?
Bißmann: Im Gegenteil: Durch die gemachten Erfahrungen brenne ich mehr denn je dafür, für mehr Menschlichkeit, Fairness und Transparenz in der Politik zu kämpfen. Und auch: für mehr Weiblichkeit und weibliche Zugänge zur politischen Kultur, also zum Umgang miteinander.  
 
Was wird sich für Sie zukünftig gefühls­technisch ändern?
Bißmann: Der Abschied von der Liste Pilz war und ist traurig. Ich werde viele meiner Ex-KollegInnen vermissen, vor allem auf der Mitarbeiterebene, da sind großartige und kompetente Persönlichkeiten darunter! Allerdings breitet sich seit dem Ausschluss auch eine große Erleichterung aus. Langsam bekomme ich meine ganze Energie, meine Vitalität zurück, die ich nun endlich voll und ganz für die politische Sacharbeit im Dienste der Menschen in Österreich einsetzen kann.
 
Was sind die Themen in Österreich, für die Sie sich trotzdem nach wie vor starkmachen wollen?
Bißmann: Ich bleibe meinen Leibthemen treu, und das sind Themen, die alle Menschen betreffen. Vorrangig der Klimaschutz und die Energiewende, denn der Klimawandel ist die größte Bedrohung für uns Menschen. Auch wenn das unser Kanzler nicht sehen will  und die zuständige Ministerin machtlos ist. Ich werde bei diesem Thema Allianzen mit den besorgten und lösungsorientierten Kräften in der Zivilgesellschaft und im Parlament schmieden. Ein ganz besonderes Anliegen ist mir auch die Mitsprache und Ermächtigung der BürgerInnen: Sozialpolitische Revolutionen wie das Bedingungslose Grundeinkommen oder die Bürger-Energiewende, bei der mehr und mehr Energieproduktion und Wertschöpfung in die Hände der Bürge­rInnen gelegt wird, werden unsere Gesellschaft in das aktuelle Jahrhundert heben.  
 
Diese Themen müssen Sie jetzt als freie bzw. wilde Abgeordnete im Parlament vertreten. Ist das beängstigend? 
Bißmann: Nein. Ich freue mich auf die Herausforderung, die einzige freie Abgeordnete zu sein. Es gab auch noch keine Angebote anderer Parteien und ich suche das auch nicht aktiv. Eines der wichtigsten Instrumente und Wirkmechanismen eines Politikers sind die Reden, die Sprache, mit der man seine Anliegen stellvertretend für viele Menschen im Land formuliert. Das Schöne bei einer freien Abgeordneten-Rolle ist: Man hat viel Redezeit.
 
Das heißt, all die Querelen der letzten Wochen konnten Ihnen die Lust an der Politik nicht verderben? 
Bißmann: Es gab auch schöne Zeiten und Erfahrungen. Politik darf Spaß machen, trotz schwerer Zeiten, und das möchte ich vorleben und damit hoffentlich viele andere Menschen motivieren, auch in die Politik zu gehen.
 
Zur Person
Übergeordnetes Ziel. Politisch startete Bißmann lokal als Vorstandsmitglied der Grünen Akademie Steiermark. Bis 2017 arbeitete sie zu Klimaschutz und erneuerbaren Energien im Rahmen von EU-Kampagnen und Großprojekten. Bürgerbeteiligungsprozesse waren für Bißmann schon im PhD-Abschluss das Kernthema. 2016 engagierte sie sich als Wahlkampfmanagerin für Irmgard Griss. Seit Juni ist sie – nachdem sie ihr Mandat der Liste Pilz zurückgelegt hat – die erste wilde Abgeordnete der aktuellen Legislaturperiode.
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