"Wir sind noch nicht am Ziel"

Eva Glawischnig im MADONNA-Talk

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Eva Glawischnig. Mit der Klubobfrau lassen wir 30 Jahre Grüne im Parlament und 20 Jahre Parteizugehörigkeit für die heute 47-Jährige Revue passieren. 

Am 17. Oktober steht bei den Grünen ein besonderes Jubiläum an. Denn vor 30 Jahren zogen sie nach den Nationalratswahlen, angeführt von Polit-Ikone ­Freda Meissner-Blau, ins Parlament ein.  Drei Dekaden später steht auch eine Frau an der Spitze dieser Partei, Eva Glawischnig, seit acht Jahren Klubobfrau und Bundessprecherin. Ihren Leitsatz beschreibt sie fromm mit: „jeden Tag die Welt ein kleines Stückchen besser machen“ zu wollen. Ob sie ihr Ziel demnächst auch in einer Regierung durchsetzen wird können, wird sich bei der nächsten Nationalratswahl zeigen.   
 
Gespräch. Doch um zu wissen, wo es hingeht, muss man sich manchmal auch darauf rückbesinnen, wo man herkommt. MADONNA traf Eva Glawischnig zum Talk über Geschichte und Entwicklung der Grünen, persönlichen Idealismus und gesellschaftliche Problemfelder, denen sie sich als Politikerin stellen will.      
 
30 Jahre sind die Grünen nun im Parlament vertreten. Wie blicken Sie als Parteichefin auf die letzten drei Dekaden zurück?
Eva Glawischnig: Begonnen hat unsere Bewegung auch als Widerstand gegen ein irregeleitetes Projekt, den Bau eines Kraftwerks in der Hainburger Au, und mit dem starken Wunsch nach einer neuen Politik. Unsere Gründerin Freda Meissner-Blau, die im vergangenen Jahr leider verstorben ist, konnte noch die Unterzeichnung des Pariser Weltklimavertrags erleben. Dort haben sich alle Staaten der Welt auf eine neue Klimapolitik geeinigt. Eine besondere Errungenschaft.     

Ökologie ist also immer noch tief in den Grundfesten der ­Grünen verankert.   
Glawischnig: Mit Sicherheit. Klima- und Umweltschutz oder biologische Landwirtschaft sind heute Themen, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Ebenso wichtig ist und war uns die Rolle der Frau, die sich in diesen vergangenen 30 Jahren stark gewandelt hat. Wir als grüne Partei, bei der von Beginn an viele starke Frauen an der Spitze waren und sind, haben da sicherlich Positives dazu beigetragen. 
 
Vergangene Woche wurde der Equal Pay Day begangen, der aufzeigt, dass Frauen immer noch 22,4 Prozent weniger verdienen als Männer. 
Glawischnig: Die Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft bleibt eines unserer großen Ziele, an dem wir hart weiterarbeiten. Wir sind noch nicht am Ziel.
 
Welche großen Ziele sollten ­Ihrer Meinung nach heute mit Vehemenz verfolgt werden? 
Glawischnig: Die Menschen haben heute wie damals einen starken Wunsch nach einer Gewalt- und konfliktfreien Welt. Heute wie damals fehlt jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit Krisenregionen dieser Welt und im Umgang mit Menschen auf der Flucht. Wir müssen uns als Gesellschaft daher die Frage gefallen lassen, ob wir diesen Menschen mit Angst und Ausgrenzung begegnen oder an weitreichenden Lösungen arbeiten. 
 
Und die kleineren Ziele? 
Glawischnig: Im Moment kämpfen wir dafür, dass die Mindestsicherung für Familien mit zwei oder mehr Kindern so erhalten bleibt. Derzeit werden abstruse Forderungen gestellt, wie z. B. die Mittel bei Mehrkindfamilien zu deckeln. Wer nicht selbst mehr als zwei oder drei Kinder hat, kann sich diese Situation nur schwer vorstellen. Diesen politischen Streit auf dem Rücken von Kindern auszutragen, finde ich unerträglich. Es geht hier gerade einmal um knapp 3.000 Familien österreichweit. Am Geld kann es daher sicher nicht liegen.   

Hoch her geht es derzeit beim Thema Asylwerber und der Entlohnung für geleistete gemeinnützige Arbeit.  
Glawischnig: Integration ist eine große Herausforderung, gerade in Schulen, beim Thema Bildung oder in der Arbeit. Um sich von Beginn an zu integrieren, müssen die Menschen rasch arbeiten dürfen, jedoch nicht zu einem 2-Euro-Tarif. Da geht es um Menschenwürde. Wir haben Mindestlöhne von 7,50 Euro, und ich finde, dass gleiche Arbeit auch gleich bezahlt werden sollte. Asylwerber dürfen generell nur sehr eingeschränkt arbeiten. Gemeinnützige Arbeit kann freilich hilfreich sein, um sich in unserer Gesellschaft besser und schneller zu orientieren. 

Wie sehen die Grünen die Wahlverschiebung?
Glawischnig: Alexander Van der Bellen hat sich ein wenig erholen können, nun geht es in die Zielgerade. Die Verschiebung der Stichwahl ist sicherlich ärgerlich. Wir nehmen jedoch das gute Ergebnis von Wien Leopoldstadt als schönes Omen. Natürlich kann man das nicht auf die BP-Wahl übertragen, aber das Ergebnis hat uns doch alle sehr motiviert.    
 
Impliziert die Massentauglichkeit nicht, dass man idealistische Abstriche machen muss? 
Glawischnig: Natürlich haben wir uns gewandelt. Zuerst war der Widerstand, dann wurden Konzepte erarbeitet und später haben wir uns zur Re­gierungspartei gewandelt, derzeit noch auf Landesebene. Klar befindet man sich da in einem Spannungsfeld zwischen Idealen und Kompromissen. Letztlich geht es darum, die besten Lösungen finden. Das ist das Spannende an der Entwicklung der Grünen und auch mein persönlicher Anspruch: Ich möchte jeden Tag die Welt ein ganz kleines Stückchen verbessern. Dazu gehört Beweglichkeit, das Ablassen von Dogmen und ein Tick Pragmatismus.  
 
Was war Ihr schönster Moment in den letzten 20 Jahren?
Glawischnig: Als mein zweiter Sohn geboren wurde und ich bereits Obfrau war. Da habe ich gemerkt, dass es bei den Grünen wirklich möglich ist, eine Führungsposition mit Familie zu vereinbaren. 
 
Was kann für Sie künftig eigentlich noch kommen?
Glawischnig: Mein Ziel ist nach wie vor, dass die Grünen Teil einer Mehrheit sind – abseits von Blau. Ich möchte keine Fälle wie einst im blauen Kärnten mit der Hypo erleben, wo Machtmissbrauch und Korruption an der Tagesordnung gestanden sind. Mein Wunsch ist es, Teil einer Politik zu sein, die keine Angst bewirtschaftet, sondern Zuversicht und Lösungen fördert. 
 
Partner und Kontrahenten
Überzeugungen. „Konfrontation, wo notwendig, Kompromiss, wenn möglich“, so lautet Ewa Glawischnigs Motto. Vor allem die Konfrontation mit dem FPÖ-Spitzenkandidaten Heinz-Christian Strache scheut die 47-Jährige keineswegs und betont stets, dass es für die Grünen niemals zu einer Koalition mit der blauen Partei kommen kann und wird. Auf die Frage, ob sie dem freiheitlichen Politiker zur Hochzeit gratuliert habe, antwortet sie lachend mit einem bestimmten „Nein“.  Was ihre eigene Ehe mit Volker Piesz­czek angeht, mit dem sie seit 2005 verheiratet ist, spielt BP-Kandidat und ihr Vorgänger als Grünen-Chef Alexander Van der Bellen selbst eine große Rolle. In einem MADONNA-Interview kurz vor dem Sommer gestand sie, dass „Sascha“ indirekt der Ehestifter gewesen sei. Glawischnig lernte ihren Mann kennen, weil Van der Bellen eine TV-­Diskussion auslassen musste. 
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