MADONNA-Talk

Alice Schwarzer im Interview

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Die deutsche Journalistin und Essayistin Alice Schwarzer, die seit Jahrzehnten mit ihrem steten Kampf für Gleichberechtigung immer wieder für Diskurse sorgt, über ihr neuestes Werk.

Es gibt bestimmte Tage im Jahr einer Frau, die Meilensteine markieren: eine Beförderung, die Geburt eines Kindes, Verpartnerung, Hochzeit, aber auch der Weltbrustkrebstag (1. Oktober), der Tag gegen Gewalt an Frauen (25. November) sowie auch der Weltfrauentag am 8. März. Es sind Tage, an denen der Diskurs um Pro­blematiken kreist, für die in einem normalen Kalenderjahr oft der Platz fehlt. Doch warum sind sie überhaupt notwendig? Wer wäre besser geeignet, diese Notwendigkeit zu begründen, als die wohl berühmteste Frauenrechtlerin des deutschsprachigen Raumes, die deutsche Journalistin und Essayistin Alice Schwarzer (75).
 
Aktivistin. Ihre Aktion im Kampf gegen das Abtreibungsverbot in den 1970er-Jahren wurde der Auslöser für die deutsche Frauenbewegung. 1977 gründete sie das politische Frauenmagazin Emma, dessen Verlegerin und Chefredakteurin sie bis heute ist. Schwarzer nimmt kein Blatt vor den Mund und das seit Jahrzehnten auf eine schmerzlich ehrliche Art und Weise.
 
Neuester Streich. Nach 21 Werken als Autorin sorgt der Titel ihres neuesten Buches Meine algerische Familie für Erstaunen. Faszinierend: Ihre algerischen Familienmitglieder kommen im O-Ton zu Wort. Mit MADONNA spricht sie über ihr Buch, Lösungsansätze für Frauen in Algerien, ihre Person und was der Weltfrauentag wirklich aussagt.
 
Frau Schwarzer, kann man Ihr neues Buch als eine Art Doppelpor­trät sehen?
Alice Schwarzer: Nicht wirklich. Im Mittelpunkt stehen drei Generationen der Großfamilie. Aber da ich sie seit 25 Jahren kenne, meinen Blick auf sie richte und Wochen mit ihnen verbracht habe – gerade komme ich wieder zurück von einem Blitzbesuch in Algier –, stecke ich natürlich mit in dem Buch.
 
Wie kamen Sie zu Ihrer algerischen Großfamilie?
Schwarzer: 1989 habe ich ein Seminar für Journalistinnen in Tunis gemacht, darunter war die algerische Journalistin Djamila. Wenige Jahre später geriet sie in dem von den Islamisten angezettelten Bürgerkrieg in Lebensgefahr – und ich habe sie für fünf Jahre nach Köln geholt. Das waren in den 1990er-Jahren syrische Verhältnisse in Algerien – als Erstes brachten sie die Journalisten und die emanzipierten Frauen um. Djamila war beides.
 
Inwiefern hat Ihre familiäre Beziehung zu dem afrikanischen Land Ihren Standpunkt, was Frauenrechte betrifft, verändert?
Schwarzer: Überhaupt nicht. Ich beschäftige mich ja schon lange mit dem arabischen Raum und den islamischen Ländern. Ich wusste also, dass die Frauen dort noch weitgehend rechtlos sind, gleichzeitig aber fortschrittlich, also zerrissen zwischen Tradition und Moderne.
 
Worin sehen Sie Lösungsansätze bezüglich der Situation von Frauen in Algerien, die mit religiöser Radikalisierung, Islam, Kopftuch, instabiler Demokratie und mehr kämpfen?
Schwarzer: Ein Teil der Lösung liegt bei uns, im Westen. Wir müssen die fortschrittlichen Kräfte in Ländern wie Algerien bestärken und unterstützen, statt mit dem Kopftuch zu kokettieren.

Was wollen Sie mit „Meine algerische Familie“ bewirken?
Schwarzer: Ich hoffe, man erkennt nach der Lektüre des Buches, dass die radikalen Islamisten eine Minderheit und die Mehrheit der Muslime Menschen wie wir sind.
 
Ein Medium schrieb: Sie seien „ledig, kinderlos und hätten – Überraschung – trotzdem eine Großfamilie“. Fühlen Sie sich durch solche Beschreibungen diskreditiert?
Schwarzer: Warum sollte ich? Das ist doch ein Fakt. Unter Familie verstehen wir ja schon lange nicht mehr nur die „Bluts­familie“, sondern liebevolle, verantwortungsvolle Zusammenschlüsse von Menschen.

Als Herausgeberin des feministischen Frauenmagazins „Emma“ schaffen Sie es seit 1977 immer wieder, die Menschen zu überraschen und für Aufregung zu sorgen. Was ist Ihre Motivation dahinter? Ist das Absicht?
Schwarzer: Ich mache einfach immer das, was mich gerade interessiert. Ohne darüber nachzudenken, was man davon halten wird.
 
83 Prozent der Deutschen kennen Ihren ­Namen. Was denken Sie, welches Bild der Großteil davon von Ihnen hat?
Schwarzer: Das Bild der Menschen von mir ist jedenfalls nicht so klischeehaft wie das Bild der Medien.

Am 8. März ist Weltfrauentag: Ist es notwendig, dass es einen Tag nur für Frauen gibt, oder ist es traurig, dass es überhaupt einen Weltfrauentag braucht?
Schwarzer: Ein Tag von 365 – das zeigt, wie schlecht es um uns Frauen bestellt ist.
 
 
Schwarzer
© KIWI Verlag
 
Algerien Das neueste Werk von Alice Schwarzer Meine algerische Familie ist seit 15. Februar um 22,70 Euro zu haben (Verlag Kiepenheuer & Witsch).
 
 
Zur Person
Werke. Als erfahrene Journalistin und Essayistin ist „Meine algerische Familie“ nicht Schwarzers erstes Werk. Unter den 22 Büchern, die sie bis dato veröffentlichte, waren „Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz“, „Die große Verschleierung“ sowie „Der Schock – die Silvesternacht in Köln“.
 
Lesungen. Wer die Autorin Alice Schwarzer live erleben möchte, kann das bei zwei ­Lesungen in Österreich: in Graz am 10. März um 17 Uhr im Kleine-Zeitung-Salon und in Wien am Sonntag, 11. März, um 11 Uhr im Theater in der Josefstadt.
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