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Gehört Mutterschaft zum Lebenssinn?

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Wann ist eine Frau eine Frau? Inwiefern uns die Fortpflanzungsfähigkeit definiert und warum Kinder Umweltsünden sein sollen diskutieren zwei neue Bücher. Plus: Das sagen die MADONNA-LeserInnen.

Zum Thema Kinder hat jeder eine Meinung. Abgesehen von den vielen persönlichen Aus­einandersetzungen, die vor ­allem von Frauen ab 30 dazu geführt werden, fällt aktuell auch in den Buchläden ein thematischer Schwerpunkt zur Mutterschaft auf. In den letzten Monaten ist viel Lesestoff von und mit der Frau im Fokus erschienen, ob im angloamerikanischen („The Mothers“, „Everything Under“), französischen („Dann schlaf auch du“) oder ­unserem („Muttergehäuse“) Sprachraum. All diese Bücher stellen die Frage nach der Selbstbestimmung über den eigenen Körper und beleuchten die häufig tabuisierten Schattenseiten des Kinderkriegens. In ­ihrem Aufsatz „Why All The Books About Motherhood“ nennt die amerikanische Schriftstellerin Lauren ­Elkin diese und ähnliche Bücher zusammengefasst einen „Counter Canon“. Einen Kanon, der sich in Anspruch und Erzählform von gängiger Ratgeber- oder Erziehungsliteratur abhebt und die Frau und ihr Frausein, das häufig mit Mutterschaft in Verbindung gebracht wird, in den Fokus stellt.

Kinderlose Gesellschaft
Seit Jahren nimmt die Kinderzahl pro Frau in den meisten Ländern der westlichen Welt ab, einheitliche Erklärungen finden sich kaum. Eine im Vorjahr veröffentlichte Studie des Instituts für Demografie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zeigt vor allem bei zwischen 1955 und 1970 geborenen Frauen einen Trend (Anm.: als Kohorten-Geburtenrate herangezogen, umfasst die Studie die „endgültige“ Kinderzahl von Frauen und kann deshalb erst erhoben werden, wenn diese ein Alter erreicht haben, in dem sie in der Regel keine Kinder mehr bekommen können): Frauen in Mittel- und Osteuropa (deutschsprachige Länder ausgenommen) bekamen statt zwei Kindern oft nur mehr eines. Die Studienautoren erklären dies mit der zwar negativen Einstellung zu Kinderlosigkeit in den ehemaligen sozialistischen Ländern, gleichzeitig sei die Arbeitsbelastung der oft Vollzeit arbeitenden Eltern hoch, sodass sie auf weiteren Nachwuchs verzichteten. In den deutschsprachigen Ländern, in Südeuropa und Ostasien ließ dagegen vor allem die zunehmende Zahl der Kinderlosen die durchschnittliche Kinderzahl sinken. Die Autoren sehen den Grund in der traditionellen Rollenverteilung in diesen Ländern, wo den Frauen oft nur die Wahl zwischen Mutterschaft oder Erwerbstätigkeit geblieben sei. Dazu sei ein „neuer Lebensstil ohne Kinder gekommen, der auf individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung zielte“. „Soll ich ein Kind bekommen?“, ist im Leben jeder Frau eine zentrale Frage. So zum Beispiel auch in jenem der namenlosen Protagonistin im aktuell erschienenen Roman der kanadischen Schriftstellerin Sheila Heti „Mutterschaft“. Bücher über Mutterschaft gibt es zur Genüge, doch Bücher gegen Mutterschaft? Die sind auch heute noch eine Provokation, schließlich hat „eine nicht mit Kindern beschäftigte Frau etwas Bedrohliches. Was wird sie stattdessen machen? Was für einen Ärger?“ Die kanadische ­Autorin Sheila Heti ist Anfang 40 und hat keine Kinder. Weltweit für ihre Literatur gefeiert, gilt sie als eine der wichtigsten Stimmen ihrer Generation. Als Sheila Hetis „Mutterschaft“ vergangenes Jahr im englischsprachigen Ausland erschienen ist, wurde es in den internationalen Feuilletons besprochen, obwohl noch gar keine Übersetzungen auf dem Markt waren. Wohl mitunter deshalb, weil die Sehnsucht nach Leitfiguren für Frauen, nicht erst seit #Metoo, ungemein groß ist. Kritik gab es aber auch zur Genüge. Oh Wunder, vor ­allem von Müttern.    

Heti
© Getty/Rowohlt

Autorin Sheila Heti gilt als eine der großen Intellektuellen unserer Zeit, die 42-jährige Kanadierin erreichte schon mit dem autobiografischen Roman „Wie sollten wir sein?“, in dem sie sich mit dem Selbstoptimierungs-Wahn der aktuellen Generation auseinandersetzt, große Aufmerksamkeit. „Mutterschaft“ ist erschienen bei Rowohlt um 22,50 Euro.

Das große weibliche Dilemma.
Das mag auch an solchen, vielleicht pointierten Gedankengängen von Heti liegen: „Ich weiß, dass ich mehr habe als die meisten Mütter. Aber zugleich habe ich weniger. In gewisser Weise habe ich gar nichts. Doch ich mag das und denke, ich will kein Kind.“ Dieser Gedanke, dass weniger, ja vielleicht sogar nichts, so viel mehr sein kann, wie sollte der nicht treffen? Die Protagonistin, die das denkt, ist zu Beginn des Buches Mitte 30 und am Ende 40 Jahre alt. Sie ist Schriftstellerin, lebt in Toronto, hat einen Freund, der schon ein Kind hat, aber ihr auch eins machen würde, wenn sie denn will. Diese Frage, ob sie ein Kind bekommen sollte, stellt sich aber kaum. Die Protagonistin ist mehr mit ihrem Bedürfnis beschäftigt, kein Kind zu haben. Das ist der große Unterschied. „Mutterschaft“ ist kein Ratgeber. Heti bietet keinerlei Antworten auf die großen Kinder-Fragen und will auch nicht für alle sprechen. Der Autorin gelingt ein klischee-befreites Kunststück, dem von Experten-Seite literaturgeschichtlicher Revolutionsgeist zugeschrieben wird. Ihre Protagonistin ist nicht heroisch, sondern ambivalent. Ihr Nein ständig hinterfragend schreibt sie: „Es liegt eine Art Traurigkeit darin, etwas nicht zu wollen, was dem Leben so vieler anderer Bedeutung verleiht.“ Hinzu kommt, dass die Protagonistin schon eine Abtreibung hinter sich hat. Sie erzählt von einer Begebenheit, als sie in der Abtreibungsklinik war, und der Arzt ihr zugeraten hat, das Kind zu behalten. „Warum war es dem Arzt wichtig, dass ich eines bekam? Frauen müssen Kinder kriegen, damit sie beschäftigt sind. Wenn ich an all die Leute denke, die das Abtreiben unter Strafe stellen möchten, kann das wohl nur eines bedeuten – nicht, dass sie diesen neuen Menschen auf der Welt haben wollen, sondern wohl eher, dass die Frau sich mit der Kinderaufzucht beschäftigt, statt etwas anderes zu tun.“ Damit geht sie auch auf die, gerne von Männern statuierte Ablehnung von Abtreibung als Fremdbestimmung ein, was jedoch nur eine Form äußerlich gesteuerter Einwirkung darstellt. Die andere, nicht ganz so ­offensichtliche Fremdbestimmung ist der soziale Druck, der auf Frauen zwischen 30 und 40 Jahren einwirkt. Die Entscheidung, keine Kinder zu kriegen, hat es vor 50 Jahren genauso gegeben wie heute. Wie Sheila Heti aber in ihrem Buch richtig hervorhebt, hat sich eines nicht geändert: Dass frau mit ihrer Entscheidung alleine dasteht. Dass sie, im Fall ihrer Protagonistin, Isolation und Einsamkeit empfindet, weil ihr Freundeskreis ein Leben mit Kindern – und somit ein völlig anderes als das ihre wählt. „Mütter fühlen sich wie Verbrecherinnen, Kinderlose auch“, stellt die Erzählerin fest, sie bräuchten einen besonderen Grund, um ­ihre Kinderlosigkeit zu legitimieren.    

Umweltsünde Nachwuchs. Diesen Ansatz verfolgt auch die deutsche Autorin ­Verena Brunschweiger in ihrem Manifest „Kinderfrei statt kinderlos“. Denn u. a. beruft sich die Lehrerin auf eine umstrittene kanadische Studie, die besagt, dass durch jedes nicht geborene Kind, 58,6 Tonnen CO2 eingespart werden könnten. Sie habe sich mit 30 Jahren gegen die Fortpflanzung entschieden und legte im Rahmen ihrer Buchpräsentation außerdem nach, dass jede Frau, die der Umwelt zuliebe kein Kind kriegt, mit 50 Jahren 50.000 Euro erhalten sollte. Heutzutage sei „die Entscheidung für ein Kind faktisch nicht mehr guten Gewissens zu unterstützen“. Generell würden die Menschen Kinder aus „egoistischen“ Gründen bekommen, so die Pädagogin. Sheila Hetis Protagonistin bleibt letztlich auch „egoistisch“, am Ende ihres Entscheidungsprozesses resümiert sie versöhnlich: „Du fängst dein Leben noch mal von vorne an, diesmal mit dir selbst.“

Verena Brunschweigers
© Juliane Zitzlsperger / büchner

Verena Brunschweigers Streitschrift „Kinderfrei statt kinderlos“ ist erschienen bei Büchner, 16 Euro. werden „Kinderfrei“ stehe dafür, so Brunschweiger, „eine profunde und reflektierte Entscheidung getroffen zu haben“.

Gehört Mutterschaft zum Lebenssinn?
© oe24

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